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Aus meinem Alltag als Tierphysiotherapeutin - Kompression des Rückenmarks

Ein Fallbeispiel aus meinem Praxisalltag - Kaninchen Lulu mit einer Kompression des Rückenmarks


Was ist eine Kompression und wodurch kann sie ausgelöst werden?


Unter einer Kompression versteht man in der Medizin die Quetschung von körperlichen Strukturen, wie zum Beispiel Muskeln, Bindegewebe oder Nerven.

Kompressionen erfolgen durch mechanische Ursachen, wie zum Beispiel durch Traumata (Sturz, Schlag, jegliche Art von Unfällen) oder auch durch rassebedingte genetisch/angeborene Fehlbildungen, wie zum Beispiel Chondrodystrophie (Verkalkung der Bandscheiben).

Diese treten vor allem bei Bulldoggen, Pekinesen und Dackeln auf.


Vorbericht


Lulu lebt in Wohnungshaltung und darf sich frei und selbstständig durch die Wohnung bewegen. Der Zugang zum Käfig ist durch ein Klappgitter in Bodennähe erreichbar.

Die Besitzerin befand sich in einem anderem Raum, als ein lautes Rappeln hörbar wurde.

Sofort im Anschluss lag Lulu mit gelähmten Hintergliedmaßen auf dem Boden.

Offensichtlich verfingen sich ihre Hinterbeine im Gitter beim Versuch in den Käfig zu springen.

Lulu wurde sofort einem Tierarzt vorgestellt. Es wurde ohne viel Hoffnung zu geben eher zum Einschläfern geraten.

Eine zweite Meinung wurde eingeholt.

Auch dieser Tierarzt war nicht sehr hoffnungsvoll gestimmt, aber versuchte zumindest eine symptomatische Behandlung mit Schmerzmitteln und B-Vitaminen, riet aber dazu, wenn sich innerhalb der nächsten Tage keine Besserung einstellt, Lulu zu erlösen.


So wandte sich die Besitzerin an mich - sie wollte nichts unversucht lassen.






Untersuchungsgang


Adspektion - Anschauen

Die allgemeine Untersuchung ergab wenig Auffälligkeiten.

Das Allgemeinbefinden von Lulu war munter und aufmerksam - zumindest der vordere Teil des Körpers.

Sie fraß gut und zeigte Interesse an ihrer Umgebung. Die Schneidezähne waren gerade abgenutzt und in physiologischer Stellung.

Ihre Hintergliedmaßen zog sie hinter sich her.

Der Kot und Urinabsatz erfolgte unwillkürlich, sie zeigte aber eine gewisse Unruhe kurz vor dem Absetzen von Kot und Urin.

Ihr Fell war glatt und glänzend, guter Pflegezustand.

Ihre Pupillen waren beidseits gleichmäßig, die Pupillar Reflexe auf beiden Seiten ohne Befund.


Orthopädische Untersuchung/Palpation - Abtasten

Die Palpation erfolgt meist von Kopf bis Schwanz und von den Pfoten zum Körper hin, oder aber von vorrangig gesunden Körperstellen zu den schmerzhaften/verletzen Körperstellen.

Zunächst galt es heraus zu finden, ob noch andere Strukturen in Mitleidenschaft gezogen wurden.

Vor dem Abtasten ist es sehr wichtig den Körper und die Gliedmaßen mit den Händen abzustreichen, um eventuell erwärmtes Gewebe zu detektieren.

Andernfalls kann es zu verfälschten Ergebnissen kommen.

Die Muskulatur der Vordergliedmaßen war leicht erwärmt, ebenso der Übergang von Brustwirbelsäule zu Lendenwirbelsäule.

Die sanfte Neigung des Kopfes in alle Bewegungsrichtungen zeigte keine Auffälligkeiten. Auch das Gleichgewicht konnte Lulu halten.

Das Abtasten der Halswirbelsäulen- und Brustwirbelsäulenmuskulatur war ohne Befund.


Ab dem Bereich der Lendenwirbelsäule und der Hintergliedmaßen fiel eine Hypotonie der Muskulatur auf - also eine erniedrigte Muskelspannung.

Lulu zeigte keinerlei Schmerzreaktion beim Abtasten.

Die Gliedmaßen vorne wie hinten zeigten ebenfalls keine schmerzhaften Areale. Es gab keine Hinweise auf eine Fraktur oder auf ausgekugelte Gelenke.


Neurologische Untersuchung - Reflexe testen


Es zeigte sich eine deutliche Paraplegie - eine Lähmung beider Hintergliedmaßen.

Die Nervenreflexe der Haut entlang der Wirbelsäule nahmen im Bereich der Lendenwirbelsäule deutlich ab. Ungefähr an der Stelle, an der auch das Gewebe erwärmt war.

Die Tiefensensibilität beider Hintergliedmaßen war nicht mehr vorhanden - das heißt deutliches Kneifen in die Zehen wurde nicht mehr wahrgenommen.

Nur ein leichtes Streichen über den Genitalbereich löste ein minimales Zucken der Hintergliedmaßen aus.

Bei den passiven Bewegungsübungen konnte die Pfote der rechten Hintergliedmaße eigenständig in Flexion gebracht werden. Auch ein minimales, selbstständiges in Position halten der Hintergliedmaßen war möglich.


Posturale Reflexe


Hüpfreaktion/Halbgehen/-stehen: nicht möglich

Schubkarre: sehr gut möglich

Umstellreflexe VGM : sehr gut möglich

Umstellreflexe HGM : hgr. verzögert bzw nicht möglich

Tischkantenprobe HGM: ohne Reaktion


Differentialdiagnosen - Mögliche Diagnosen


- Bandscheibenprotrusion/Bandscheibenprolaps (Vorwölbung oder Vorfall der Bandscheibe)

- Spinaltrauma durch Kompression (Quetschung der Spinalnerven)

- Distraktion oder Rotation (Zerrung oder Verdrehung)


Besitzerkommunikation


Laut Besitzerin hat sich der Zustand geringfügig verbessert. Auch die oben erhobenen Befunde stimmen mich vorsichtig optimistisch. Eine regelmäßige Physiotherapie wurde angeraten. Außerdem weiterhin Substitution mit B-Vitaminen, ggf. auch der Einsatz von biologischen Heilmitteln wie z.B. Traumeel, Discus comp. ad.us.vet. und Coenzym ad.us.vet.

Ein CT/MRT wurde angesprochen.


Der Heilungsverlauf wird wahrscheinlich mehrere Wochen in Anspruch nehmen. Eine vollständige Wiederherstellung des Gangbilds ohne bleibende Schäden kann hierbei nicht gewährleistet werden, erscheint aber in Anbetracht des Alters von Lulu nicht unmöglich.


Behandlung - physiotherapeutisch und chiropraktisch


Die Symptome sind ausschließlich neurologischer Natur. Daher gilt es vor allem die Regeneration von Nerven anzuregen.

Gleichzeitig müssen die Vordergliedmaßen vor Überbelastung geschützt werden.

Wiederrum muss einem drohendem Muskelschwund der Hintergliedmaßen entgegen gewirkt werden.

Durch meine physiotherapeutische Behandlung wurden all diese Aspekte berücksichtig.

Mit der chiropraktischen Behandlung konnte ich schnell und zielführend "verrutschte" Wirbel wieder in die physiologische Stellung zurück bringen und die Heilung damit deutlich verbessern.


Unterstützende Therapie für zuhause


Über meine physiotherapeutische Behandlung hinaus war es überaus wichtig, dass täglich mit Lulu trainiert wurde!

Die Beweglichkeit der Gelenke der Hintergliedmaßen musste unbedingt erhalten werden um längerfristige Schmerzen und Schäden zu vermeiden.

Außerdem musste weiter an der Regeneration der Nerven gearbeitet werden.


Ziel war also:

-kurzfristig: Beweglichkeit der Hintergliedmaßen erhalten, Muskeln erhalten

-langfristig: Entlastung der Vordergliedmaßen, Muskelaufbau der Hintergliedmaßen sowie Verbesserung der motorischen Fähigkeiten/neurologische Ausfälle


Übungen der Hintergliedmaßen

-Durchbewegen der Gelenke (Zehen, Sprunggelenk, Kniegelenk, Hüftgelenk)

-Geführtes Hinsetzen auf die Füße

-Streichen der Fußsohlen über raue Oberflächen (z.B. Teppich)

-Natürlich-physiologische Sitzposition fördern (z.B. Korrektur der falschen Sitzposition)

-Leichte Fußsohlenmassage , fördert die Durchblutung


Die Übungen wurden je nach Gesundungsfortschirtt angepasst und im Schwierigkeitsgrad erhöht.







Dran bleiben lohnt sich! - Lulu kann wieder laufen!


Durch meine regelmäßige Behandlung und mit Unterstützung der äußerst engagierten Besitzerin und deren unermüdlicher Einsatz haben wir es geschafft!

Die Genesung dauerte ca. 4 Monate.

Mittlerweile kann Lulu sogar wieder Männchen machen.






Liebe Michelle, vielen Dank für deinen Einsatz und dein Vertrauen!


Bildmaterial mit Einverständnis der Besitzerin veröffentlicht.



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